Die Klimaungerechtigkeit ist weiblich. Die Klimagerechtigkeit auch.

Die grüne Lunge der Erde ist krank.
Rohstoffentnahme und Monokulturen zerstören überall auf der Welt das empfindliche Ökosystem des Regenwaldes. Einer der größten und für das Weltklima wichtigsten Regenwälder liegt am Amazonas. Er erstreckt sich über neun Länder und einer Gesamtfläche, die mit ihren 6,7 Millionen Quadratkilometern fast doppelt so groß ist wie die EU. Er beherbergt eine unglaubliche Fülle von seltenen Pflanzen und Tieren, fast 10% aller Arten auf der Erde und bietet seit tausenden von Jahren indigenen Bevölkerungsgruppen Lebensraum. Doch dieser Lebensraum ist nun bedroht.
Nach Angaben der privaten US-amerikanischen Denkfabrik Council on Foreign Relations sind 2022 bereits 480.000 km2 des Amazonas-Regenwaldes verloren gegangen. Nach einer Studie des WWF steht bereits ein Drittel der Amazonas Regenwälder an der Kippe zur Versteppung. Die Folgen für das Klima auf der ganzen Erde wären verheerend. Doch so sehr Wissenschaftler*innen davor warnen, so verlockend ist es immer noch für viele Konzerne, die natürlichen Schätze des Regenwaldes, zu denen Rohstoffe wie Erdöl, Gold und Kupfer genauso gehören wie die landwirtschaftlichen Produkte Kaffee, Blumen, Bananen oder Palmöl, auszubeuten. Die Praktiken, mit denen die Regenwald-Gebiete „bewirtschaftet“ werden, ähneln noch immer denen der Kolonialzeit, wo ohne Rücksicht Monokulturen errichtet, Wälder abgeholzt und Menschen vertrieben wurden. Die Menschen- und Frauenrechte der indigenen Bevölkerung werden dabei mit Füßen getreten.
Kolumbien – „Battle-Ground“ zwischen Ausbeutung und gerechtem Wirtschaften
Die Aktion Familienfasttag der Katholischen Frauenbewegung unterstützt seit vielen Jahren Frauen-und-Umweltorganisationen in Kolumbien beim Kampf gegen Ausbeutungsmechanismen, Landvertreibungen, Sexismus und Gewalt. Und das ist kein Zufall. Denn gerade hier sind die Lebensräume der indigenen Bevölkerung und die Rechte indigener Frauen besonders bedroht. Das Land, das lange Zeit von einer kleinen Elite von Großgrundbesitzer*innen bewirtschaftet wurde, ist seit Jahrzehnten durch einen brutalen Bürgerkrieg ausgezehrt. Seit den Landreformen zwischen den 1950er und 1980er Jahren gab es immer wieder Bestrebungen, das Land gerechter zu verteilen. Abgesehen davon, dass Frauen bei dieser Bodenreform systematisch ausgegrenzt wurden (nur 11% der Landempfänger*innen waren Frauen), gelang es auch nicht, an den Verhältnissen etwas Grundlegendes zu verändern. Noch heute gehört 52,62 % (15,38 Millionen Hektar) des privaten Grundbesitzes 2,27% der Grundbesitzer*innen.
Seit den 1990er Jahren gibt es einen verfassungsrechtlichen Rahmen für die politische und territoriale Autonomie der indigenen Bevölkerung. In den 2000er Jahren begann ein international beispielgebender Friedensprozess zwischen allen Akteur*innen: der kolumbianischen Regierung, der FARC-Guerilla und der indigenen Bevölkerung. Forderungen von Frauen- und LGBTIA+-Organisationen sind dabei expliziter Bestandteil der Verhandlungen. Seither findet ein zähes Ringen zwischen Autonomie, ökologischer Unversehrtheit und sozialer (Gender)Gerechtigkeit auf der einen Seite und Landgrabbing, schonungslosem Extraktivismus und Ausbeutung auf der anderen Seite statt.
Die Energiewende als grünes Feigenblatt
Im Zuge der Energiewende ist Kupfer zu einem der begehrtesten Rohstoffe geworden. Denn es ist ein Schlüsselelement in vielen erneuerbaren Technologien wie Solarzellen, Batterien oder Windkraftanlagen und unverzichtbares Material für Stromleitungen. Kolumbien ist reich an diesem Rohstoff. Neben Erdöl, das vor allem im Amazonasgebiet gefördert wird, sind Kupfer und Gold derzeit die meistbegehrten Rohstoffe des Landes. Einer der größten Förderer von Gold und Kupfer in Kolumbien, der multinationale Konzern Anglo Gold Ashanti (AGA), der viertgrößte Goldproduzent der Welt, ist auf diesen Zug aufgesprungen und argumentiert die weitere Erschließung von Kupferminen mit der grünen Energiewende.
Doch nichts am Kupferabbau in Kolumbien ist „grün“. Toxischer Müll kontaminiert den Boden, Wasser wird von den indigenen Dorfgemeinschaften abgezogen, extreme Feinstaubbelastung schädigt die Gesundheit von Mensch und Tier. Den Dorfbewohnern wird im wahrsten Sinn des Wortes das Wasser abgegraben. Ackerbau und Viehzucht wird durch den Wassermangel zerstört. Und wer von den Konzernen Arbeit bekommt, wird schlecht bezahlt und schlecht geschützt. Vor allem Frauen leiden unter Gewalt und sexualisierten Übergriffen fremder Arbeiter.
Unterm Strich bewirkt der „grüne“ Extraktivismus genau das Gegenteil von dem, was er vorgibt zu erreichen. Der Klimaschutz besteht nämlich nicht nur in der Reduktion von CO2 allein. Die Zerstörung ganzer Ökosysteme im Gegenzug für „billigen“ Rohstoff für „grüne“ Energie ist ein zu hoher Preis. Die Rechnung geht nicht auf, wenn wir die gesundheitlichen und sozialen Kosten der so betriebenen Energiewende gegen ihren Nutzen aufrechnen. Ganz abgesehen davon, dass der Globale Süden auf diese Weise in postkolonialer Abhängigkeit steckenbleibt.
Warum die Klimakrise nicht gendergerecht ist
Seit dem Erscheinen des bahnbrechenden Buches „Women and Environment in the Third World: Alliance for the Future“ von Irene Dankelman und Joan Davidson (1988) haben Forscher*innen weltweit damit begonnen, den Aspekt „Geschlecht“ beim Klimawandel genauer unter die Lupe zu nehmen. Dabei hat sich schnell herausgestellt, dass Frauen und LQPTQIA+-Personen stärker unter den negativen Auswirkungen zu leiden haben als Männer. Das liegt an den gesellschaftlich definierten, unterschiedlichen Rollen. Vor allem in den patriarchal geprägten Gesellschaften haben sie weniger Zugang zu den lebenswichtigen Ressourcen, sie haben weniger Aufstiegsmöglichkeiten und weniger Entscheidungsmacht – in wirtschaftlicher, politischer und familiärer Hinsicht.
Frauen sind Akteurinnen des Widerstands
Das bedeutet aber nicht, dass Frauen nicht aus diesen Rollen heraustreten können. Ganz im Gegenteil! In den letzten Jahrzehnten hat sich die weltweite Bewegung des Ökofeminismus gebildet. Seine Wurzeln liegen sowohl im Westen als auch im Globalen Süden. Der Ökofeminismus hat sich weltweit zu einer mächtigen Bewegung und Theorie entwickelt, die die Zusammenhänge zwischen Geschlecht, Umwelt und sozialer Gerechtigkeit analysiert. Ökofeministinnen wie Vandana Shiva, Bina Agarwal und Vrinda Karat aus Indien haben wichtige Beiträge zur Entwicklung des Ökofeminismus geleistet. Die Verschränkung von Patriarchat, Kapitalismus und Rassismus legt die Basis für die weltweite Zerstörung der Natur.
In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstanden überall auf der Welt ökofeministische Bewegungen wie die „Chipko-Bewegung“ in Indien, die sich gegen die kommerzielle Abholzung von Wäldern stellte, oder die von der Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai gegründete „Green-Belt-Bewegung“ in Kenia, durch die 30 Millionen Bäume wiederaufgeforstet wurden.
Ökofeministischer Widerstand in Kolumbien
In Kolumbien entstand die Umweltbewegung aus der Befreiungstheologie und der Friedensarbeit. Von Anfang an waren viele Frauen daran beteiligt. Sehr häufig mit dem Einsatz ihres Lebens. Nach einer Untersuchung von Human Rights Watch aus dem Jahr 2021 ist offener Aktivismus für Umweltschutz, Menschen- und Arbeitsrechte in kaum einem anderen Land so gefährlich wie in Kolumbien. Nach Angaben des Global Witness Reports 2024 wurden im Jahr 2023 in Kolumbien 79 Aktivist*innen ermordet. In nur einem Monat ereignen sich durchschnittlich 9.000 Fälle von Gewalt gegen Frauen.
Eine dieser Kämpferinnen ist die indigene Lokalpolitikerin Aida Jacanamejoy Miticanoy. Sie konnte mithilfe der von ihr gegründeten Hüter*innen des Waldes und des Wassers 301.000 ha Regenwald retten. Lesen Sie ihre Geschichte in unserem Magazin teilen spendet zukunft.
Frauen wie Aida können davon ausgehen, dass die kolumbianische Bevölkerung hinter ihnen steht. Laut einer Umfrage der Europäischen Investitionsbank, an der mehr als 10.500 Menschen aus 13 Ländern teilnahmen, befürworten 91% der kolumbianischen Bevölkerung strengere Maßnahmen, die die Menschen zu klimafreundlichem Verhalten zwingen. Dass dieser Prozentsatz so hoch ist, liegt daran, dass 94% der Befragten angeben, dass sich der Klimawandel auf ihren Alltag auswirkt.
Für den Erhalt des Amazonas-Regenwaldes, der dort ansässigen, indigenen Bevölkerung, des ungeheuren Reichtums an seltenen Pflanzen und Tieren und nicht zuletzt für den Fortbestand der menschlichen Zivilisation hoffen wir, dass sich diese Aufbruchstimmung zu einem gemeinsamen entschlossenen Widerstand gegen die Zerstörung dieser wertvollen Ressourcen entwickelt.
Mehr über die Frauen in der kolumbianischen Umweltbewegung, ihre Motive, ihr Engagement und ihre Erfolge lesen Sie in der nächsten Ausgabe von „Essay des Monats“.